Whiskey, Jazz und heimliche Türen – New Orleans im Untergrund

Es ist schön, wieder in New Orleans zu sein. Jedes Mal, wenn ich hier mit meiner Gruppe ankomme, spüre ich sofort dieses besondere Gefühl – als würde die Stadt im Rhythmus der Vergangenheit atmen.

Und diesmal erzähle ich euch eine Geschichte, die kaum jemand kennt, obwohl sie mitten in diesen Straßen spielte: Die Geschichte, wie New Orleans während der Prohibition zu Amerikas rebellischster Stadt wurde – und warum sie am Ende trotzdem verlor.

11. August 1925 – Die Nacht, in der 200 Agenten kamen

An diesem Abend dachten viele, es sei vorbei.

Zweihundert Bundesagenten – aus anderen Städten herangekarrt, weil den lokalen Polizisten nicht zu trauen war – stürmten gleichzeitig Dutzende Bars, Lagerhäuser und Hinterzimmer in New Orleans. Es war eine der größten Razzien in der Geschichte der Prohibition.

Als der Rauch sich legte, hatten sie 10.000 Kisten Alkohol beschlagnahmt. Whiskey, Rum, Gin – mehr, als selbst die Agenten je gesehen hatten.

Die Zeitungen berichteten triumphierend. Die Bundesregierung erklärte, New Orleans sei nun „trocken”.

Doch am nächsten Morgen sagte ein Schmuggler dem Times-Picayune achselzuckend:

„Sie haben nicht wirklich viel erwischt. Ich glaube nicht, dass der Whiskey-Preis in New Orleans auch nur ein bisschen steigen wird.”

Und er hatte recht.

Eine Stadt, die sich nicht beugen wollte

Seit 1920 galt in den gesamten USA das Alkoholverbot. Offiziell durfte kein Tropfen mehr verkauft, ausgeschenkt oder produziert werden.

In vielen Städten bedeutete das das Ende der Feierlaune. Nicht hier.

New Orleans war schon immer anders. Zu frei, zu laut, zu lebendig, um sich Vorschriften gefallen zu lassen. Während in Chicago Gangster schossen und in New York geheime Clubs entstanden, tat New Orleans das, was es am besten kann: Es tanzte weiter.

Nur leiser. Cleverer. Mit einem Glas in der Hand und Jazz in der Luft.

Elizabeth Anderson – die Frau des Schriftstellers Sherwood Anderson – brachte es auf den Punkt:

„Wir alle hatten das Gefühl, dass die Prohibition eine persönliche Beleidigung war. Und dass es unsere moralische Pflicht sei, sie zu untergraben.”

35 Sekunden

Im Jahr 1925 kam ein berühmter Undercover-Agent namens Isadore „Izzy” Einstein nach New Orleans. Klein, dick, ein Mann der tausend Verkleidungen – er hatte in Chicago, New York und Pittsburgh Hunderte von Schmugglern verhaftet.

Izzy führte eine persönliche Statistik: Wie lange dauerte es in jeder Stadt, bis er illegal Alkohol kaufen konnte?

In Chicago: 21 Minuten.

In Atlanta: 17 Minuten.

In Pittsburgh: 11 Minuten.

In New Orleans? 35 Sekunden.

Er stieg in ein Taxi, fragte den Fahrer, wo man hier etwas zu trinken bekomme – und der Fahrer zog eine Flasche unter dem Sitz hervor und bot sie ihm an.

Izzy verhaftete ihn auf der Stelle.

Das war New Orleans. Nicht kriminell aus Gier, sondern aus Prinzip.

Das geheime Leben hinter den Türen

Speakeasies – versteckte Bars – schossen überall aus dem Boden. Manche waren hinter Bäckereien oder Friseurläden, andere in den oberen Etagen alter Häuser im French Quarter.

Wenn man das richtige Passwort kannte, öffnete sich die Tür – und plötzlich war man in einer anderen Welt. Hier klangen Trompeten durch den Dampf, Gläser klirrten, und auf den Holzböden tanzte die Nacht.

Das Old Absinthe House an der Bourbon Street war eine der bekanntesten Adressen – schon im 19. Jahrhundert Treffpunkt von Künstlern und Schmugglern. Der Besitzer, Pierre Cazebonne, wurde im Januar 1920 verhaftet. Und im März wieder. Danach wurde er schlauer: Er ließ andere als offizielle Betreiber eintragen, während er im Hintergrund weitermachte.

Das Pat O’Brien’s war nur über ein geheimes Zeichen zu betreten. Der Roosevelt Hotel – damals noch Grunewald Hotel – betrieb im Keller einen Jazz-Club namens „The Cave”, komplett mit künstlichen Stalaktiten und Chorus Girls.

Die Polizei?

Viele der Beamten tranken selbst mit. In New Orleans hatte man schon immer ein pragmatisches Verhältnis zu Regeln.

Schmuggler, Sümpfe und der Whiskey Tree

Das Geheimnis der Stadt lag nicht nur in ihren Bars, sondern in ihrem Umland.

Die Bayous und Flüsse rund um New Orleans waren perfekte Schmuggelrouten. Boote voller Rum und Whiskey kamen aus Kuba, aus der Karibik, manchmal sogar aus Texas. In den Sümpfen von Barataria Bay luden Schmuggler ihre Ware ab – und verschwanden lautlos im Nebel.

Tief im Honey Island Swamp stand der sogenannte Whiskey Tree – eine alte Sumpfzypresse, unter der sich Schwarzbrenner in Pirogues und flachen Booten trafen. Kein Weg führte dorthin, keine Straße. Nur das Wasser. Die Männer tauschten Flaschen, Geld und Informationen – und verschwanden wieder in der Dunkelheit.

Viele Familien, die heute hier leben, erzählen noch Geschichten von Großvätern, die „Fischer” waren, aber nie Fische verkauften.

Der Klang des Widerstands

Aus diesen Nächten entstand ein Sound, der die Welt veränderte – der Jazz.

Musiker spielten in Hinterzimmern, in geheimen Clubs, auf Flößen, in alten Tanzsälen. Louis Armstrong begann genau in dieser Zeit seine Karriere – in einer Stadt, die laut sein wollte, aber gezwungen war, leise zu feiern.

Vielleicht klingt der Jazz deshalb so, wie er klingt: fröhlich, trotzig, frei.

Das Ende – und was blieb

Bis Ende 1926 hatte New Orleans mehr zugesperrte Bars als jede andere Stadt in Amerika.

Die Bundesagenten hatten gewonnen – auf dem Papier. Aber in Wirklichkeit hatte die Stadt nie aufgegeben. Sie hatte sich nur tiefer versteckt.

Im April 1933 endete die Prohibition offiziell. In der ersten Woche wurden in New Orleans über 900 Schanklizenz-Anträge gestellt.

Die Stadt atmete auf. Aber etwas hatte sich verändert. New Orleans hatte gelernt, dass Freiheit, einmal gekostet, sich nicht durch Gesetze verbieten lässt.

Heute

Wenn ich abends durch das French Quarter gehe, denke ich oft daran.

Die Neonlichter mögen modern sein, aber unter der Oberfläche lebt der alte Geist weiter. Manche Bars pflegen bewusst das Ambiente jener Zeit: keine Schilder, gedämpftes Licht, Jazz im Hintergrund – ein Echo der 1920er.

Wer die Augen offen hält, findet sie noch immer: die kleinen, unauffälligen Türen, hinter denen noch immer gelacht, getrunken und getanzt wird.

Nicht aus Trotz gegen das Gesetz.

Sondern aus Liebe zur Freiheit.

Whiskey, Jazz, and Hidden Doors – New Orleans Underground

It’s good to be back in New Orleans. Every time I arrive here with my group, I can feel it - that heartbeat of the city that seems to pulse with history.

And today, I want to tell you a story most visitors never hear: the story of how New Orleans became America’s most rebellious city during Prohibition - and why, in the end, it lost anyway.

August 11, 1925 – The Night 200 Agents Came

That night, many thought it was over.

Two hundred federal agents — brought in from other cities because local police couldn’t be trusted — simultaneously raided dozens of bars, warehouses, and backrooms across New Orleans. It was one of the largest Prohibition raids in history.

When the smoke cleared, they had seized 10,000 cases of alcohol. Whiskey, rum, gin - more than even the agents had ever seen.

The newspapers celebrated. The federal government declared New Orleans “dry.”

But the next morning, a bootlegger told the Times-Picayune with a shrug:

“They didn’t get such an awful amount. I don’t believe the price of liquor in New Orleans will go up much.”

He was right.

A City That Wouldn’t Bend

Since 1920, alcohol had been banned across the entire United States. Officially, not a drop could be sold, served, or produced.

In many cities, that meant the party was over. Not here.

New Orleans had always been different. Too free, too loud, too alive to follow rules.

While Chicago was firing Tommy guns and New York was building secret clubs, New Orleans did what it does best — it kept dancing.

Just softer. Smarter. With a glass in hand and jazz in the air.

Elizabeth Anderson — wife of writer Sherwood Anderson — put it perfectly:

“We all seemed to feel that Prohibition was a personal affront and that we had a moral duty to undermine it.”

35 Seconds

In 1925, a famous undercover agent named Isadore “Izzy” Einstein came to New Orleans. Short, heavy, a man of a thousand disguises — he’d arrested hundreds of bootleggers in Chicago, New York, and Pittsburgh.

Izzy kept a personal statistic: How long did it take in each city to buy illegal alcohol?

Chicago: 21 minutes.

Atlanta: 17 minutes.

Pittsburgh: 11 minutes.

New Orleans? 35 seconds.

He got in a taxi, asked the driver where he could get a drink — and the driver pulled a bottle from under the seat and offered it to him.

Izzy arrested him on the spot.

That was New Orleans. Not criminal out of greed, but out of principle.

The Secret Life Behind Closed Doors

Speakeasies — hidden bars — sprang up everywhere. Some were tucked behind bakeries or barber shops, others in the upper floors of old French Quarter houses.

If you knew the password, the door opened to another world. Trumpets played through the haze, glasses clinked, and wooden floors moved under dancing feet.

The Old Absinthe House on Bourbon Street was one of the most famous — a meeting place for artists and smugglers since the 1800s. The owner, Pierre Cazebonne, was arrested in January 1920. Then again in March. After that, he got smarter: he put others’ names on the paperwork while he kept running things from the shadows.

Pat O’Brien’s required a secret signal to enter. The Roosevelt Hotel - then the Grunewald — ran a basement jazz club called “The Cave,” complete with fake stalactites and chorus girls.

And the police?

Many officers drank there too. Rules in New Orleans have always been… flexible.

Smugglers, Swamps, and the Whiskey Tree

The secret of the city wasn’t just in its bars — it was in its bayous.

The swamps and waterways around New Orleans became smuggling lifelines. Boats carried rum from Cuba, whiskey from Texas, gin from the Gulf. In the swamps of Barataria Bay, smugglers unloaded their cargo and disappeared into the mist.

Deep in -Honey Island Swamp -stood the Whiskey Tree — an old bald cypress where moonshiners met in pirogues and flat-bottom boats. No roads led there. Only water. Men traded bottles, cash, and information — then vanished back into the darkness.

Even today, some families tell stories of grandfathers who were “fishermen”… but never sold fish.

The Sound of Resistance

From those nights came a sound that changed the world - Jazz

Musicians played in backrooms, secret clubs, riverboats, and old dance halls. Louis Armstrong’s early career began in those same hidden spaces, where joy met defiance.

Maybe that’s why jazz still sounds the way it does: joyful, rebellious, free.

The End — and What Remained

By the end of 1926, New Orleans had **more padlocked bars than any city in America**.

The federal agents had won — on paper. But in reality, the city never gave up. It just went deeper underground.

In April 1933, Prohibition officially ended. In the first week, over 900 liquor licenses were issued in New Orleans.

The city breathed again. But something had changed. New Orleans had learned that freedom, once tasted, couldn’t be legislated away.

Today

When I walk the French Quarter at night, I still think about it.

The neon lights may be modern, but beneath the surface, the old spirit lives on. Some bars still honor that era — no signs, low lights, jazz humming in the dark.

If you pay attention, you’ll still find them: those small, unmarked doors where people still laugh, drink, and dance.

Not in defiance of the law.

But out of love for freedom.

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